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                               Über mich

 

 

An Ereignisse im vierten Lebensjahr, so sagt man erinnert sich in der Regel ein erwachsener Mensch. Das war im April 1945. Meine Mutter, den Kinderwagen, in dem das Notwendigste verpackt war, vor sich herschiebend, mich an der Hand, auf dem Weg in die Prinz-Adalbert-Straße von Berlin-Karlshorst. Daran erinnere ich mich heute. Aus einem Fenster des vierstöckigen Hauses schlugen Flammen, ein unauslöschbares Bild. „Das war dein Kinderzimmer“, sagte meine Mutter. Eine der berüchtigten Phosphorbrandbomben, in der Form einem Bleistift ähnlich, war vom Dach bis in den Keller geschlagen und hätte unterwegs alles verbrannt. Über das danach berichtete meine Mutter: „Die Edith und ich, wir hielten im Krieg und danach, vor allen Dingen in der Sorge um dich zusammen. Während ich meinem Dienst bei der Stadtverwaltung nachkam, kümmerte sich Edith vorwiegend um dich. Du bist für sie immer wie ihr Sohn gewesen, was mich oft eifersüchtig machte. Doch mein Glaube an den Endsieg ließ mich bis zuletzt meiner Dienstpflicht nachkommen. Oftmals lief ich auf dem Weg zu meiner Dienststelle oder nach Hause durch brennende Straßen, rettete mich ständig in Sekundenbruchteilen vor herabstürzenden Häuserwänden. Und dann, Ende April 45, wurde auch das Dienstgebäude ein Opfer der Brandbomben und ich meiner Verantwortung entbunden.

Edith und ich begaben uns mit dir auf die Suche nach einer Unterkunft. Abwechselnd schoben wir den Kinderwagen, den du zum Glück kaum noch brauchtest, vor uns her. In ihm hatten wir unsere ganze Habe, zum Beispiel die uns damals noch wichtig erschienenen Papiere und Dokumente untergebracht. Gähnende Ruinen rechts und links der Frankfurter Allee, das Feuer erloschen, der Gestank nach Verbranntem erhalten geblieben.  Manchmal wirkten die Restfassaden wie eine Theaterkulisse: ein Schlafzimmer, das Ehebett und darüber an der Wand das Bild mit den pausbackigen Engelchen, eine Küche, von der die Ecke mit dem Kochherd stehen geblieben war oder ein Wohnzimmerrest mit Sofagarnitur und darüber das Bild des Führers. Bald erkannten wir die Nutzlosigkeit dieser Wohnungssuche, wollten dir weitere solcher Bilder ersparen und traten den Rückweg nach Karlshorst an.“

Das zweite, mir in Erinnerung gebliebene Bild: eine Leiche im abgesoffenen U-Bahn-Schacht. Erst viel später erfuhr ich die Ursache: Auf dem Grund eines Spreekanals hatten sie die Ladung explodieren lassen, die ein Loch in die U-Bahn-Schachtdecke riss, durch das Millionen Kubikmeter Wasser in die Tunnel stürzten und die dort vor den Fliegerbomben Schutz suchenden tötete. Nein, das waren keine bolschewistischen Untermenschen gewesen, es waren die Ehre-Treue-Herrenmenschen, die in fanatischer Mordlust dem letzten Befehl ihres Führers „nach mir die Sintflut“, gefolgt waren, die Eigenen also.

Weiter berichtete meine Mutter: „Damals, auf der Frankfurter Allee, hätte sich keine von uns beiden vorstellen können, dass die Edith dereinst in dieser Straße, die dann den Namen Stalins trug, eine schöne Wohnung beziehen würde. Jetzt erst einmal blieb uns nur noch die Laube als Zufluchtsort übrig. Am Abend, auf dem Weg dorthin, das Siegesfeuerwerk der Roten Armee, da haben wir beide bitterlich um Deutschland geweint, ob der Bolschewisten Sieg.“

Das dritte Bild, der Schrebergarten und das Möhrenbeet. Noch heute mag ich keine gekochten Mohrrüben, damals waren sie lebenserhaltend.

 

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